Träume als Schreibinspiration (1/2)

Träume als Schreibinspiration (1/2)

Andrea Hahnfeld

Im November 2024 habe ich an einem Schreib-Workshop teilgenommen, der mich dazu inspiriert hat, tiefer in die Welt der Träume einzutauchen. In diesem zweiteiligen Artikel zeige ich dir anhand konkreter Schreibübungen, wie du deine Träume nutzen kannst, um deinen kreativen Schreibprozess zu bereichern.

Erfahre, wie du Träume besser erinnerst, sie als Grundlage für Traumsequenzen oder Geschichten nutzt und dabei neue Inspirationen für deine Texte erhältst. Und natürlich teile ich wie immer meine eigenen Schreiberfahrungen mit dir.


Jede Nacht träumen wir. Mal wirr und chaotisch, mal bedrohlich und bizarr. An viele Träume erinnern wir uns nicht oder nur bruchstückhaft — denn nach dem Erwachen vergessen wir Träume oft rasch, wenn wir sie nicht festhalten. Schade eigentlich! Denn Träume sind ein faszinierender Zugang zu unserer inneren Welt und können eine wertvolle Quelle für kreatives Schreiben sein. Viele berühmte Schreibende wie beispielsweise Franz Kafka,* Arthur Schnitzler* und Gottfried Keller* (um nur einige zu nennen) haben ihre Träume regelmäßig notiert. In der Literatur gibt es zahlreiche Beispiele von fiktionalisierten Träumen. Eines der bekanntesten dürft Schnitzlers Traumnovelle* sein. Wenn du also nach neuen Impulsen für dein Schreiben suchst, bist du hier an der richtigen Stelle.

Meine Erfahrungen mit Träumen

Bisher habe ich aus meinen Träumen noch keine Geschichten gestaltet. Aber ich bin schon immer fasziniert von meinen Träumen, denn ich träume intensiv und habe oft wiederkehrende Träume. Morgens schreibe mir meine Träume oft auf — auch wenn ich später mit diesen Notizen selten etwas anfangen kann und die Bilder dazu verschwinden.

Zudem habe ich das Problem, dass meine Träume in der Nacherzählung immer viel langweiliger rüberkommen, als sie während des Träumens erschienen. Denn ich vermag ihre Leuchtkraft nicht in Worte zu fassen.

Wenn ich nach Jahren dann diese Träume lese, die ich mir aufgeschrieben habe, wundere ich mich über sie. Für mich sind diese Traumnotizen eigenartige Schätze, die halbvergessen im Verborgenen darauf warten, dass ich sie wiederentdecke. Kaum kann ich glauben, dass wirklich ich das geträumt habe.

Eine dieser merkwürdigen Traum-Notizen möchte ich mit dir teilen. Diesen Traum träumte ich am 7. Dezember 2019 und ich musste ihn aufschreiben, weil er so seltsam war und weil ich ihn komplett auf Niederländisch träumte!

Traum: Sleepbeestenziekte

Ich habe auf Niederländisch geträumt! Die Sleepbeestenziekte ist eine Krankheit, die die beesten aanslepen. Es ging um einen Fernsehbericht über Menschen auf einer Insel, scheinbar Kinder. Aber sie hatten so alte Stimmen. Bis ich merkte: Das sind keine Kinder, sie sind kleinwüchsig! Die Menschen erzählten vom Tag, als die Elefanten kamen. Dann Cut: Man sieht wie tausende Elefanten mit einer Flut an den Strand gespült wurden. Sie waren durchs Meer geschwommen und ganz dürr. Ich sagte immer »Wat zielig!« Einige Elefanten brachen am Strand zusammen und die lebenden Elefanten haben versucht, die toten mit ihren Rüsseln zu beleben.

Inhaltsverzeichnis

Warum träumen wir?

In der Wissenschaft ist nicht vollständig geklärt, warum wir überhaupt träumen. Es gibt allerdings vier Haupttheorien, die ich zum Einstieg ins Thema kurz vorstellen möchte.

Wir träumen, um Neues zu verarbeiten

Es wird vermutet, dass Träume dabei helfen könnten, neu Erlerntes und Erfahrungen aus dem Wachzustand zu verarbeiten und ins Langzeitgedächtnis zu integrieren. Diese Vermutung wird durch Studien gestützt, die zeigen, dass unser Gehirn während des Schlafs aktiv bleibt. Zudem berichten Träumende häufig, dass sich neue Erlebnisse mit alten, emotional geprägten Erinnerungen zu vermischen scheinen. Solche Verknüpfungen könnten dazu beitragen, Wissen zu festigen​.

Wir träumen, um uns auf schwierige Situationen vorzubereiten

Insbesondere bedrohliche oder angstauslösende Träume könnten als eine Art Training dienen. Sie ermöglichen es, schwierige oder gefährliche Situationen im Traum durchzuspielen und mögliche Handlungsstrategien zu entwickeln. Diese Funktion könnte evolutionär bedingt sein, um das Überleben zu sichern​. Ein Beispiel für einen solchen Traum berichtet Matthias Jung in seinem Buch (vgl. 2008: 117): Der realistische Alptraum des Schlaf- und Traumforschers William Dement, in dem er an einem inoperablen Lungenkrebs erkrankte, bewirkte, dass der jahrelange Kettenraucher von einer Nacht auf den folgenden Morgen das Rauchen aufgab.

Wir träumen, um Gefühle zu verarbeiten

Die Verarbeitung von Gefühlen scheint beim Träumen eine große Rolle zu spielen. Denn bildgebende Verfahren zeigen: Die Amygdala, die für Emotionen zuständig ist, ist im Schlaf besonders aktiv. Die gesteigerte Aktivität des Mandelkerns im Gehirn könnte erklären, warum wir unsere Träume oft so intensiv und emotional erleben.​

Wir träumen, um kreative Lösungen zu finden

Träume könnten dazu dienen, aktuelle Herausforderungen zu verarbeiten. Manche Menschen berichten, dass sie durch Träume neue Perspektiven oder Lösungen für Probleme entwickeln. Dies könnte daran liegen, dass der präfrontale Kortex, der für logisches Denken zuständig ist, im Schlaf weniger aktiv ist – und so kreativeren Verbindungen Raum gibt​. Ein berühmtes Beispiel träumte der Chemiker August Kekulé – und erkannte durch seinen Traum die Ringstruktur des Benzols:

Da saß ich und schrieb an meinem Lehrbuch, aber es ging nicht recht; mein Geist war bei anderen Dingen. Ich drehte den Stuhl nach dem Kamin und versank in Halbschlaf. da gaukelten die Atome vor meinen Augen. Kleinere Gruppen hielten sich bescheiden im Hintergrund. Mein geistiges Auge, durch wiederholte Gesichte ähnlicher Art geschärft, unterschied jetzt größere Gebilde von mannigfacher Gestaltung. Lange Reihen, vielfach dichter zusammengefügt; alles in Bewegung. Schlangenartig sich wendend und drehend. Und siehe, was war das: Eine der Schlangen erfasste den eigenen Schwanz und höhnisch wirbelte das Gebilde vor meinen Augen. Wie durch einen Blitzstrahl erwachte ich. (zit. in Jürgen vom Scheidt: Das große Buch der Träume,* S. 37)

Matthias Jung stellt in Träume: Botschaften des Unbewussten* (2008: 22) fest, dass Frauen sich durchschnittlich häufiger an ihre Träume erinnerten und diese auch für wichtiger hielten. Das läge daran, dass sie im Allgemeinen mehr an ihren seelischen Zuständen interessiert seien als Männer. Ob das stimmt, kann ich an dieser Stelle nicht mit Zahlen belegen. Aber anekdotisch scheint es zu stimmen: Ich persönlich erinnere mich an meine Träume sehr viel häufiger als mein Freund an seine – und ich habe auch ein größeres Bedürfnis, mit ihm über meine Träume zu sprechen. Ich glaube, das langweilt ihn oft. 🙃

Die mitteilende Funktion unserer Träume

Dass Träume eine mitteilende Funktion haben können, ist spätestens seit Siegmund Freuds Werk Die Traumdeutung in psychoanalytischen Kreisen bekannt. Was sie uns allerdings mitteilen, ist nicht geklärt – und steht stets in enger Verbindung zu der jeweiligen psychoanalytischen Theorie.

Während Träume beispielsweise laut Freud auf verdrängte Triebwünsche schließen lassen, sieht sein Schüler Carl Gustav Jung in ihnen Hinweise auf seinen Seelenzustand:

Für mich sind Träume Natur, der keine Täuschungsabsicht innewohnt, sondern die etwas aussagt, so gut sie eben kann [...] Träume sind Kryptogramme über den Zustand meines Selbst, die mir täglich zugestellt werden. (zit. nach in Jürgen vom Scheidt: Das große Buch der Träume,* S. 163)

Außerdem vermutet Jung eine Verbindung zu größeren Konzepten, die nicht nur mit unserem eigenen Unbewussten, sondern auch mit dem kollektiven Unbewussten und seinen Inhalten, den Archetypen, zusammenhängen.

Eine gewissermaßen oberflächliche Schicht des Unbewussten ist zweifellos persönlich. Wir nennen sie das persönliche Unbewusste. Dieses ruht aber auf einer tieferen Schicht, welche nicht mehr persönlicher Erfahrung und Erwerbung entstammt, sondern angeboren ist. Diese tiefere Schicht ist das sogenannte kollektive Unbewusste. [...] Für unsere Zwecke ist [die Bezeichnung Archetypus] treffend und hilfreich, denn sie besagt, dass es sich bei den kollektiv-unbewussten Inhalten um altertümliche oder – besser noch – um urtümliche Typen, das heißt seit alters vorhandene allgemeine Bilder handelt [...] Allerdings sind sie hier nicht mehr Inhalte des Unbewussten, sondern haben sich bereits in bewusste Formeln verwandelt, welche traditionsmäßig gelehrt werden [...] Ein Anderer, wohlbekannter Ausdruck der Archetypen sind der Mythus und das Märchen. (C.G. Jung: Archetypen,* S. 7-9)

So träumt Jung als etwa 3-Jähriger einen archetypischen Traum, der ihn stark beeindruckte:

[Ich stieg in ein Erdloch und gelangte in einen dämmerigen Raum mit einem goldenen Thronsessel. Darauf stand] ein riesiges Gebilde, das fast bis an die Decke reichte. Zuerst meinte ich, es sei ein hoher Baumstamm [...] es bestand aus Haus und lebendigem Fleisch, und obendrauf war eine Art rundkegelförmigen Kopfes ohne Gesicht und ohne Haare; nur ganz oben auf dem Scheitel befand sich ein einziges Auge, das unbewegt nach oben blickte, [...] Vor Angst war ich wie gelähmt. In diesem unerträglichen Augenblick hörte ich plötzlich meiner Mutter Stimme wie von außen und eben, welche rief: »Ja, schau ihn dir nur an. Das ist der Menschenfresser!« Da bekam ich einen Höllenschrecken und erwachte, schwitzend vor Angst [...] (zit. nach in Jürgen vom Scheidt: Das große Buch der Träume,* S. 166)

Auch Joseph Campbell sieht eine Verknüpfung zwischen Träumen und Mythen:

Der Traum ist der personalisierte Mythos, der Mythos der depersonalisierte Traum; sowohl Mythos als auch Traum sind auf ähnliche Weise symbolisch für die Dynamik der Psyche. (aus: The Hero with A Thousand Faces*)

Für die Kindheitsforscherin Alice Miller wiederum spricht in unseren Träumen unser frühkindliches Erleben mit uns. Es zeigt sich das, wofür wir als Kinder keine Worte hatten. Exemplarisch demonstriert sie am Beispiel Kafkas, wie sein Schreiben ein In-Worte-Fassen von etwas ist, das man im Grunde nie versteht.

In der Form seiner Gestaltung war [Kafka] zweifellos ein ganz bewusster Künstler der Sprache, aber da die Inhalte aus der Tiefe seiner Erfahrungen stammen, vermögen sie, uns so unmittelbar in unserem Unbewussten anzurühren. Daher bedeuten seine Werke unzähligen jungen Menschen die erste Bestätigung, dass das, was sie in ihrer Innenwelt finden, nicht unbedingt Verrücktheit sein muss. (Alice Miller – Du sollst nicht merken,* S. 348)

Aber auch abseits dieser psychologischen Deutungsmöglichkeiten haben Menschen in ihren Träumen oft Botschaften verstanden. Einerseits gibt es da die überlieferten prophetischen Träume in der Bibel (vgl. Josef deutet die Träume des Pharao). Andererseits berichten Menschen von Träumen, die ihnen die Zukunft vorhergesagt haben.

Selbst in meiner eigenen Familie gibt es Erzählungen eines prophetischen Traums: So träumte meine Urgroßmutter in der Vornacht des Tages, an dem sie die Todesnachricht ihres ältesten Sohnes erhielt, dass er im Krieg gefallen sei. Man mag zwar glauben, es sei nichts Ungewöhnliches, dass eine Mutter zu Kriegszeiten einen solchen Traum habe – aber der gefallene Sohn, von dem sie träumte, war nicht der ihrer einzige Söhne, der sich an der Front befand.

Diese Exkurse zu Psychologie und Parapsychologie sollen das Spektrum aufzeigen, in denen sich Träume bewegen können. Dieses Spektrum ist wichtig, wenn wir selbst Träume schreiben – sei es, indem wir sie erinnernd gestalten oder für fiktive Texte nutzen.

Träume festhalten

Weil Träume rasch wieder vergessen werden, lohnt es sich, diese direkt nach dem Träumen festzuhalten. Diese Träume sind deine Schatzkiste an echten Traumsequenzen, die du später gestalten kannst. Zum Festhalten der Träume gibt es zwei Möglichkeiten.

1. Träume aufschreiben

Die klassische Möglichkeit, die auch Schreibende wie Franz Kafka, Lewis Carol oder Arthur Schnitzler praktiziert haben, ist ein Traum-Tagebuch zu führen. Dazu legst du dir Notizheft und Stift auf den Nachttisch und hältst direkt nach dem Aufwachen fest, was dir von deinem Traum noch in Erinnerung geblieben ist.

Obwohl es auch ein gewöhnliches Notizheft tut, kannst du dir auch ein spezielles, schön gestaltetes Traum-Tagebuch* zulegen und so deinen Träumen ein besonderes Zuhause geben. Wichtig ist nur: Das Buch sollte so sein, dass dich seine Schönheit nicht davon abhält, in krakeliger Handschrift darin zu schreiben. Denn direkt nach dem Aufwachen und im Dunkel der Nacht wird deine Schrift nicht die schönste sein. Lege dir gegebenenfalls auch ein rot leuchtendes Nachtlicht* zu, sodass du nicht komplett wach wirst, wenn du mitten in der Nacht deine Träume festhältst. Und dein Stift sollte immer gut schreiben – auch, wenn du dich nicht komplett aufsetzt, um zu schreiben.

2. Träume diktieren

Früher habe ich die Träume in ein Traum-Tagebuch geschrieben. Allerdings habe ich festgestellt, dass das Aufschreiben zu viel Zeit verbraucht – und ich deshalb nicht alles festhalten kann. Ich erinnere meine Träume oft, wenn ich mitten in der Nacht kurz aufwache, noch im Halbschlaf bin und gleich weiterschlafen möchte. Auch halte ich gern beim Nacherzählen der Träume die Augen geschlossen.

Deshalb nutze ich inzwischen fürs Festhalten meiner Träume die Just Press Record App auf meinem Handy (ein Diktiergerät tut es natürlich auch). So kann ich im Dunkeln schnell etwas ins Handy sprechen und die App transkribiert das Diktierte. Wenn ich nicht zu viel genuschelt habe, ist die Transkription auch ziemlich korrekt. Zudem habe ich dadurch meine Stimme als zusätzliche Informationsquelle, an der ich meinen Gefühlszustand direkt beim Aufwachen heraushören kann.

Wie du Träume besser erinnerst

Für die meisten Menschen genügt es bereits, die Träume regelmäßig festzuhalten. Denn so erinnert man sich nicht nur an die aufgeschriebenen Träume. Die Gewohnheit des Festhaltens trainiert auch das Traumgedächtnis und die Traumerinnerung verbessert sich.

Solltest allerdings du zu den Menschen gehören, die sich nicht an ihre Träume erinnern, so gibt es zusätzliche Tipps:

  • Nutze REM-Phasen: Wenn du einen Schlaftracker* besitzt, kannst du dich in einer REM-Phase wecken lassen – alternativ: ca. 90 Minuten nach dem Einschlafen oder in den frühen Morgenstunden.
  • Halte die Augen geschlossen: Öffne nicht sofort die Augen, wenn du aufwachst. Vergegenwärtige dir stattdessen mit geschlossenen Augen noch einmal das Geträumte. Oft braucht es nur Fragmente des Traums, um mehr davon zu erinnern. Diktiergeräte* sind in diesen Fällen besser geeignet als Notizbuch & Stift, da du sprechend mit geschlossenen Augen den Traum festhalten kannst.
  • Bitte die »Innere Träumende« um Hilfe: Jürgen vom Scheidt* sieht im Nichterinnern von Träumen eine Schutzfunktion des Unbewussten und empfiehlt vor dem Einschlafen die »Inneren Träumende« mit einer sanften Bitte zu adressieren: Bitte schick mir heute Nacht einen Traum, an den ich mich am Morgen erinnere (vgl. 1990: S. 113/114).

Träume deuten

Für Philosoph Ernst Bloch sind Träume Teil des großen »Noch nicht«, dem riesigen Feld des utopischen Bewusstseins (vgl. Jung*).

Als träumende Person bist du selbst der beste Interpret deiner Nachtschöpfung (vgl. Matthias Jung,* 2008: 120). Einige Informationen können dir helfen, deine Träume besser zu verstehen.

Mit einem Traum ist meist unmittelbar ein Gefühl verbunden, das dir nach dem Aufwachen am deutlichsten ist. Halte diese Gefühle so gut wie möglich fest – später können sie dir dabei helfen, deinen Traum einzuordnen.

Die Wahrheit liegt nicht in einem Traum, sie liegt in vielen. (Tausend und eine Nacht zit. nach Jung*)

Stellst du fest, dass sich Traummotive wiederholen? Dann könnte das von besonderer Bedeutung sein. Achte in solchen Fällen auf subtile Veränderungen und halte diese fest.

Ingrid Riedel (vgl. Jung*) merkt an, dass Träume auch in Zusammenhang mit dem Lebensalter stehen, in denen sie geträumt werden. Traumbilder verändern sich somit abhängig von deinem Alter.

Außerdem gibt es Traumbilder, die mit einer bestimmten Zeit in deinem Leben verbunden sind und auf diese Zeit verweisen. Beispielsweise ist bei mir das Haus meiner Großmutter, von dem ich regelmäßig träume, zeitlich in meiner Jugend verhaftet. Ein interessanter Ansatz der Traumdeutung ist es daher, die Traumbilder zeitlich einzuordnen, wie Freud es in seinem Irma-Traum tut (vgl. Jürgen vom Scheidt: Das große Buch der Träume,* S. 80-83).

Vom Scheidt* (vgl. 1990: S. 115-152) schlägt in Anlehnung an Freud eine Methode zur Traumdeutung vor, die ich dir näher vorstellen möchte. Ich finde sie interessant, weil sie die freie Assoziation der Psychoanalyse mit künstlerisch-kreativen Verfahren verbindet, sodass man eigenständig mit seinen Träumen arbeiten kann.

Wichtige Voraussetzung für diese Methode ist das stetige Festhalten von Träumen und die schriftliche Auseinandersetzung damit, denn das bringt die Einfälle zum Fließen.

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Alle interpretativen Ansätze dienen ausschließlich dazu, dir selbst auf die Spur zu kommen. Deute deine Träume nur dann, wenn dir das emotional gut tut.

Allerdings ist eine Deutung von Träumen nicht unbedingt notwendig. Du kannst die Traumbilder auch einfach festhalten und nicht weiter hinterfragen. Denn selbst in den unentschlüsselten Traumbildern liegt ein Reiz – den beispielsweise Kafka kunstvoll nutzt. In seinen (alp)traumhaften Texten scheint die Unverständlichkeit der Traumsprache literarische Form anzunehmen.

Traumarbeit nach Jürgen vom Scheidt

Für die Traumarbeit nach vom Scheidt benötigst du einen Traum, den du dir mit größtmöglicher Detailsorgfalt notiert hast. Im besten Fall hast du auch alle Gefühle festgehalten, die du mit dem Traum verbindest sowie alle körperlichen Reaktionen, die du beim Aufwachen feststellen konntest (z.B. weinen, lachen, Herzklopfen).

Das wichtigste Prinzip dieser Traumarbeit ist: Gefühl vor Bild. Dabei achtest du besonders auf die Gefühle und Körperreaktionen, die du nach dem Aufwachen hattest – sie sind der wichtigste Schlüssel. So kann dir vielleicht ein Traumbild als lustig oder absurd erscheinen, aber dein Gefühl kann das Gegenteil davon sein. Du wachst beispielsweise mit Herzrasen auf. In solchem Fall wäre der Traum trotz seiner lustigen Elemente als ein Angsttraum zu deuten.

Da diese Methode mit assoziativen Einfällen auf zwei Abstraktionsebenen arbeitet, brauchst du dich nicht zu stressen, wenn dein Traum nicht alle oben genannten Kriterien erfüllt. Je häufiger du die Methode anwendest, umso geübter wirst du darin werden.

Schreibe den Traum mit der Hand nochmal ab – und zwar in der Gegenwartsform, um besser in die Stimmung eintauchen zu können. Das Schreiben mit der Hand ist insbesondere bei der Arbeit mit dem Unbewussten von Vorteil, da es das Erinnern fördert.

Bleibe in dieser ersten Phase ganz beim Traum selbst und schreibe ihn so ab/auf, wie du ihn erinnerst. Wichtig: Nimm noch keine Einfälle oder Ideen außerhalb des Traums in diese Schilderung auf! Sobald du alles aufgeschrieben hast, markiere dir mit einem Buntstift Schlüsselbegriffe, die dir relevant erscheinen – gehe dabei inuitiv vor. Mit diesen Begriffen arbeitest du nun weiter.

In der zweiten Phase nimmst du dir jeden markieren Schlüsselbegriff vor und assoziierst in einem Freewriting, was dir dazu einfällt. Das können beispielsweise Erinnerungsfragmente aus deinem Leben sein. Sobald sich der Erinnerungs- bzw. Schreibprozess zu einem Schlüsselbegriff erschöpft hat, gehst du zum nächsten Schlüsselbegriff über. Sind alle Schlüsselbegriffe bearbeitet, folgt Phase III.

In der dritten Phase bewegst du dich weiter weg vom eigentlichen Traum. Du kannst den Traumtext zur Seite legen, wenn dir das hilft. Schreibe nun in einem Freewriting, was dir zu den Kurztexten in den Sinn kommt, die in Phase II entstanden sind.

In der vierten und letzten Phase kannst du abschließende Überlegungen in Stichpunkten oder Reflexionssätzen festhalten.

✍️
Für diese Übung brauchst du ein großes Blatt Papier (DIN A1 oder DIN A0). Falte das Papier zweimal, sodass vier Längsspalten entstehen.

• Schreibe in Spalte 1 deinen Traum als Fließtext und im Präsens. Lies dir den Text durch und markiere Schlüsselbegriffe.
• Schreibe in Spalte 2 Einfälle zu den markierten Schlüsselbegriffen.
• Schreibe in Spalte 3 Einfälle zu den Texten in Spalte 2. Knicke gegebenenfalls Spalte 1 um, sodass du den Traumtext nicht mehr lesen kannst.
Spalte 4 nutzt du für abschließende Überlegungen.

Traumdeutungen können insbesondere das autobiografische und autofiktionale Schreiben bereichern. Aber auch für das fiktionale Schreiben ist es sinnvoll, die eigenen Träume eingehender zu betrachten, denn so kannst du in deinen fiktionalen Texten tiefere Schichten erreichen.

💡
Die Träume, die du träumst gehören dir. Du bist Expertin für ihre Deutung. Denke während der Durchführung der Methode darum nicht darüber nach, ob du es richtig oder falsch machst. Du machst es richtig. Die Schlüsselbegriffe, die du markierst, sind die richtigen. Die Assoziationen, die du dazu hast, sind die richtigen. Du kannst nichts falsch machen! Die Deutungen können bei unterschiedlichen Menschen ganz unterschiedlich ausfallen.

Beispiel einer Traumarbeit nach Jürgen vom Scheidt

Im Folgenden zeige ich dir, wie eine solche Traumdeutung aussehen könnte. Allerdings bin ich selbst keine Expertin in der Anwendung der Methode. Es ist vielmehr eine Selbsterfahrung. Du liest im Anschluss meine erste Traumdeutung dieser Art. Ich habe dazu einen Traum gewählt, den ich am 5. Dezember 2024 geträumt und festgehalten habe: der Minotaurus.

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