Du möchtest dich mit deinem Leben autofiktional auseinandersetzen, weißt aber noch nicht so recht wie du mit dem autofiktionalen Schreiben anfangen sollst?
Literarische Vorbilder sind eine gute Möglichkeit, sich dem Erzählen des eigenen Lebens zu nähern.
In diesem Artikel empfehle ich dir sieben ausgezeichnete Romane, die durch ihre erzählerische Kraft überzeugen. Sie zeigen dir unterschiedliche Herangehensweisen ans autofiktionale Schreiben. Vielleicht inspirieren sie dich zu eigenen autofiktionalen Texten.
Abschließend stelle ich dir noch drei Sachbücher vor, die dir Methoden an die Hand geben, um dich dem autofiktionalen Schreiben zu nähern.
Autofiktionale Romane
Frisch: Montauk
Montauk* (1975) ist eine autobiografische Erzählung von Max Frisch. Sie nimmt im Werk des Schweitzer Autors aufgrund ihrer Authentizität eine Sonderstellung ein: Frisch erzählt über ein Wochenende, das er mit seiner jungen Geliebten Lynn in Montauk verbringt.
Die Literaturkritik war sich damals uneins, was von dieser Erzählung zu halten sei. Manche Leserinnen fühlten sich peinlich berührt, weil Frisch darin sich selbst entblößte. Andere wiederum feierten den Autor, weil ihm gelungen war, das eigene Leben zum literarischen Kunstwerk zu machen. Zu letzteren zählte Marcel Reich-Ranicki, der Montauk* in seinen Kanon der deutschen Literatur aufnahm. Erzählerisch ist das Buch ein guter Einstieg in die literarischen Methoden der Autofiktion, denn in Montauk* erzählt der Autor sein Leben episodenhaft.
Frisch springt dabei durch sein Leben und folgt – mit Ausnahme der Rahmenhandlung – keiner Chronologie.
Basierend auf Montauk* findest du hier eine autofiktionale Schreibübung.
Duras: Der Liebhaber
In den kurzen Roman Der Liebhaber* (1984) der französischen Autorin Marguerite Duras habe ich mich sofort verliebt. In der knapp 100-seitigen Collage aus Erinnerungsfragmenten schildert Duras eine prägende Episode aus ihrer Jugend: die Liebesbeziehung zu einem älteren Mann. Die Geschichte spielt Anfang der 1930er-Jahre in der ehemaligen französischen Kolonie Indochina (heute Vietnam). Die Ich-Erzählerin ist damals fünfzehn. Auf einer Mekong-Fähre begegnet das Mädchen einem zwölf Jahre älteren Chinesen, mit dem sie eine Liebesbeziehung beginnt. Duras folgt keinem kontinuierlichen Erzählstrang. Sie springt zwischen Zeit und Raum hin- und her – ins Paris zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs eingeschlossen.
Duras nannte Der Liebhaber* einmal, das leichteste Buch, das sie je geschrieben habe. Es ist auch ihr erfolgreichstes gewesen: 1984 wurde es mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, 1992 verfilmt.
Wolf: Nachdenken über Christa T.
Nachdenken über Christa T.* (1968) von Christa Wolf ist interessant, weil die Autorin über jemanden nachdenkt, den es nicht mehr gibt. Ihre Freundin Christa T. ist tot. Wie aber rekonstruiert man einen Menschen, der nicht mehr da ist? Wie geht man mit der Erinnerung an ihn um?
Vielleicht hast du Menschen verloren oder wurdest von ihnen verlassen. Diese Menschen nehmen oft einen großen Raum in unserer inneren Welt ein. Vielleicht gerade, weil sie fehlen und eine Leerstelle hinterlassen haben. Nachdenken über Christa T.* zeigt dir einen Weg, literarisch und erinnerungstechnisch damit umzugehen.
Müller: Herztier
Für den Roman Herztier* (1994) erhielt Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller den Kleist-Preis und den Dublin Literary Award. Herztier gilt als ihr berühmtestes Werk. Aufgrund der starken Parallelen zu Müllers eigenem Leben kann der Roman autofiktional rezipiert werden.
Die Handlung des Buchs, das von einer Ich-Erzählerin erzählt wird, spielt in Rumänien zur Zeit der Ceaușescu-Diktatur. Ausgangspunkt der Geschichte ist der Tod der Studentin Lola, die erhängt im Zimmer des Studentenwohnheims aufgefunden wird. Ihre Freunde aber glauben nicht an einen Selbstmord – zumal Lolas Tagebuch verschwindet. Sie versuchen, die Wahrheit herauszufinden und zerbrechen daran.
Besonders gefällt mir an dem Buch die poetische Sprache, die – ähnlich wie bei Duras Der Liebhaber* – unweigerlich in den Bann zieht. Die Autorin arbeitet mit zahlreichen Wiederholungen und bringt mit ihrer starken Bildsprache zum Nachdenken. Besonders empfehlen kann ich dir die Hörbuch-Fassung*, gesprochen von Katja Riemann.
Von Stuckrad-Barre: Panikherz
Panikherz* (2016) von Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein besonderer Roman. Popliteratur, die ein Lebensgefühl festhält, das man sich selbst immer gewünscht, aber nie getraut hat. Der Autor schildert seine Suchterkrankungen zu Beginn so humorvoll, dass man die Tragödie dahinter erst im Nachklang des eigenen Lachens wahrnimmt. Mir hat es gefallen, wie er sein Leben in einer schlichten Notwendigkeit erzählt und eine Verletzlichkeit zeigt, die wir im Grunde alle in uns tragen.
Besonders ist der Roman mitunter aufgrund der zahlreichen Liedzitate, die in den Text montiert sind und wegen seiner Querverweise zu Literatur und Zeitgeschehen. Für Autorinnen ist der Roman doppelt interessant, da Stuckrad-Barre auch Einblick in den eignen Schreibprozess gibt.
Wer kann, sollte sich Panikherz* unbedingt das Hörbuch zulegen, schon allein, weil Benjamin von Stuckrad-Barre Udo Lindenberg und Harald Schmidt so wunderbar imitiert.
Stanišić: Herkunft
Herkunft* (2019) von Saša Stanišić hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Deutschen Buchpreis (2019) und den Europese Literatuurprijs (2021).
Es ist ein humorvolles Buch, in dem der Ich-Erzähler seine Herkunft ergründet. Und sich fragt: Was ist das, Herkunft? Und wie erinnern wir uns daran? Herkunft* ist nicht streng chronologisch geschrieben. Stanišić pendelt zwischen Autobiografie und Roman, zwischen Geschichte und Recherche – und findet dabei eine ganz eigene Form. Er mischt Fakten mit Fiktion und spielt mit den Möglichkeiten der Geschichte. Fantasievoll lässt er die Konventionen der Chronologie, des Realismus und der formalen Eindeutigkeit hinter sich.
Levy: Real Estate
Real Estate* (2021) ist der dritte und letzte Teil der „Living Autobiography“ von Deborah Levy. Das Buch gewann den Christopher Isherwood Prize für autobiografische Prosa.
Der deutsche Titel Ein eigenes Haus greift nicht zufällig den Titel von Virgina Woolfs berühmtem Essay auf: Ein Zimmer für sich allein.* In diesem Aufsatz führt Woolf das eigene Zimmer als eine von zwei Voraussetzungen auf, damit auch Frauen große Literatur schreiben können. Die andere: 500 Pfund im Jahr.
Auch in Real Estate* geht es um finanzielle Unabhängigkeit und Orte, an dem man als Frau sein und werden, denken und schreiben kann.
Nach der Scheidung ist der Erzählerin nichts geblieben als das eigene Talent und eine Wohnung in einem bröckelnden Wohnblock. Wie aber umgehen mit der Sehnsucht nach dem eigenen Haus am Meer, das sie sich wohl nie wird leisten können?
Real Estate* ist ein lebendiges Memoiren-Buch, in dem Levy auf fesselnde Art und Weise ihre persönliche Geschichte mit Geschlechterpolitik, Philosophie und Literaturtheorie verbindet. Mit scharfem Witz und schärferen Einsichten untersucht sie die Verknüpfung von Weiblichkeit und Besitz – und regt ganz nebenbei zum Nachdenken über das eigene Verständnis dieser Zusammenhänge an.
Sachbücher zum autobiografischen Schreiben
Schreiber: Schreiben zur Selbsthilfe
In Schreiben zur Selbsthilfe* (2022) erklärt Birgit Schreiber umfassend, wie die Beschäftigung mit dem eigenen Leben helfen kann, glücklich und gesund zu werden/bleiben.
Das Besondere: Schreiber gibt dir einerseits einen Überblick über die psychologischen Hintergründe. Andererseits findest du in diesem Buch sehr viele Methoden und Übungen. Es ist ein kleines Arbeitsbuch, das dich im Alltag und in Krisenzeiten ebenso unterstützt wie im Bestreben, dich deiner eigenen Vergangenheit erzählerisch zu nähern.
Von Werder: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten
Lutz von Werder hat zahlreiche Bücher zum kreativen Schreiben veröffentlicht. In Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten: Die eigene Lebensgeschichte kreativ schreiben* (2011) zeigt er dir kreative Wege, um deine autobiografischen Erfahrungen zu einem literarischen Text zu transformieren.
642 Lists to Write
642 Lists to Write* (2017) ist eigentlich kein echtes Sachbuch. Es ist ein Low Content Buch, das vom San Francisco Writer’s Grotto herausgegeben wurde. Im Buch findest du – wie der Titel bereits verspricht – 642 Anregungen, zu denen du Listen schreiben kannst. Dazu hast du auf 304 Seiten genügend Platz, um die Listen direkt ins Buch zu schreiben.
642 Lists to Write* ist zugleich Ideen- und Notizbuch und somit das perfekte Geschenk für dich selbst. Denn: Listen sind eine wunderbare Möglichkeit, um dir selbst auf die Spur zu kommen. Unter den 642 Schreib-Impulsen sind zudem viele lustige und ungewöhnliche Ideen:
- The worst hotels you’ve ever stayed in, ranked by awfulness
- In what ways are you secretly superstitious?
- Other religions you’d give a shot, in order of preference
Journal Writing (kostenfreie Ressourcen)
Eine Möglichkeit, dem eigenen Leben auf die Spur zu kommen, ist eine moderne Form des Tagebuchs: das Journal. Dabei wird das tägliche Schreiben nicht mehr zur ausschließlichen Dokumentation des Lebens benutzt. Es werden verschiedenste kreative Methoden eingesetzt, um sich dem Selbst zu nähern.
Kathleen Adams hat die Methode »Journal to the Self«* erfunden. Auf der Webseite Center for Journal Therapy erhältst du kostenlose Anregungen. Der Journal Course bietet dir 14 Ideen, mit denen du dein Journal beginnen und dir selbst näher kommen kannst.
Weiterführende Informationen zu der heilsamen Wirkung des Journal-Schreibens sowie zahlreiche Schreibanregungen und Übungen findest du auch auf Positive Psychology. Diese Seite eignet sich auch gut als Ausgangspunkt zur eigenen Recherche ins Thema.
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Möchtest du das autofiktionale Schreiben selbst ausprobieren, dann findest du in diesem Artikel Ideen: Autofiktionales Schreiben: 5 Schreibübungen.
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