Jede Schriftstellerin schreibt anders. Muss aber deshalb jede das Rad neu erfinden? Gerade, wenn du noch am Anfang stehst, solltest du vor allem an deiner Schreibroutine arbeiten. Dafür kannst du aus den Erfahrungen von Schriftstellerinnen schöpfen, die sich vor dir auf den Weg zum ersten Buch gemacht haben.
We are what we repeatedly do.
Excellence, then, is not an act, but a habit.― Will Durant
In diesem Artikel erfährst du, wie du eine Schreibroutine entwickelst, die für dich funktioniert und die dich immer wieder zu deinem Buchprojekt zurückbringt – auch wenn du eine (unfreiwillige) Auszeit vom Schreiben hattest.
1. Verurteile dich nicht!
Du bist nur ein Mensch. Manchmal läuft es gut, manchmal läuft es weniger gut. Das gehört zum Leben — und zum Schreibprozess. Dich dafür zu verurteilen, dass du länger nicht geschrieben hast, bringt dich kein Wort weiter. Akzeptiere einfach, dass es so war – und lass los.
Dir fällt es schwer, deine Stimmungen oder deine (mangelnde) Produktivität zu akzeptieren? Dann empfehle ich dir die Podcast-Folge Gute schlechte Laune von Betreutes Fühlen. Was Leon Windscheid und Atze Schröder in der Folge diskutieren, lässt sich auch aufs Schreiben übertragen.
Nur viele Wörter schreiben ist gut?
Bestimmt kennst du die Empfehlung: Schriftstellerinnen sollten täglich mindestens x Wörter schreiben. Aber: Produktiv sein ist nicht automatisch etwas Gutes! Zum Beispiel wenn dir deine Text nicht gefallen, weil du eigentlich noch Aspekte des Storytellings üben musst. In diesem Fall bringt es dir wenig, täglich 500 Wörter zu schreiben. An deinem Projekt arbeiten kann auch bedeuten, dich im Handwerk des Schreibens weiterzuentwickeln und beispielsweise das Schreiben spannender Szenen oder Dialoge zu üben.
Ebensowenig ist es immer schlecht, nicht zu schreiben. Zur Arbeit am Buchprojekt gehören nämlich auch das Imaginieren, Plotten und Überarbeiten – alles Aspekte, die sich schwer in »Wörter pro Tag« abbilden lassen.
Prüfe also deine Auszeit. War es überhaupt eine Auszeit oder »nur« eine Schreibphase, in der du nicht geschrieben hast?1
Deine Auszeit war tatsächlich eine Unterbrechung des Schreibprozesses? Überhaupt nicht schlimm! Auch das ist hilfreich! Zeiten des Nicht-Schreibens unterstützen dich dabei, deine Routine zu optimieren. Dazu sind zwei Fragen wichtig:
- Wieso es zur Auszeit gekommen?
- Welche Strategie können dir helfen, ein ähnliches Schreibloch zukünftig zu vermeiden?
Kurzum: Schreibe im Heute!
Lass deine negativen Gefühle zur Auszeit los. Das Gestern kannst du nicht verändern. Heute ist ein neuer Tag: der Tag, an dem du wieder mit dem Schreiben beginnst und an/mit deiner (optimierten) Routine weiterschreibst.
2. Morgenseiten
Im Buch The Artist’s Way* (auf deutsch: Der Weg des Künstlers*) schlägt Julia Cameron vor, Morgenseiten zu schreiben.
Was sind Morgenseiten?
Im Grunde sind Morgenseiten drei Seiten, die du mit der Hand schreibst. Dabei verwendest du eine Schreibmethode, die das Unbewusste anzapft: das Automatische Schreiben oder auch Freewriting.
Bei den Morgenseiten geht es nicht um Kunst. Cameron betont sogar, dass es nicht einmal ums Schreiben gehe. Das Schreiben ist bei den Morgenseiten schlicht das Mittel, um dein Ziel zu erreichen: den Kopf frei zu machen.
Drei Vorteile von Morgenseiten
- Auf Dauer helfen dir die Morgenseiten dabei, kreativ(er) zu werden. Häufig hält uns eine innere Kritikerin davon ab, einfach zu schreiben. Diese Stimme steht zwischen dir und deiner Kreativität. Die Morgenseiten schalten durch das Verfahren des Automatischen Schreibens diese Kritikerin ab. Das heißt: Durch das tägliche Schreiben von Morgenseiten übst du dich darin, freier zu schreiben und das Schreiben zuzulassen – mit allen unsinnigen Satz- und Gedankengefügen, die sich dabei ergeben.
- Außerdem lernst du durch die Morgenseiten, dass du in absolut jeder Stimmung, an jedem verdammten Tag drei Seiten zu Papier bringen kannst. Oft glauben angehende Schriftstellerinnen irrtümlich, sie müssten in der Stimmung fürs Schreiben sein. Die Morgenseiten lehren dich, dass Stimmung und Schreiben unabhängig voneinander sind.
- Die Morgenseiten sind nicht zuletzt eine Form der Meditation. Du bringst aufs Blatt, was dir dein Monkey Mind zuflüsterst. Die Gedanken kannst du wie vorüberziehende Wolken beobachten, loslassen und Raum für Neues schaffen. Das funktioniert besonders gut, wenn du zum Grübeln neigst.
Pro-Tipp: Schätze ernten
In den Morgenseiten versteckt sich manchmal auch ein kleiner Schatz. Nimm dir am Ende der Woche Zeit: Lies, was du in den vergangenen Tagen geschrieben hast. Fasse die wichtigsten Erkenntnisse und Themen zusammen. Du kannst auch ein Reflektierendes Schreiben anschließen.
Beantworte dazu 3 Fragen:
- Wenn ich das lese, fühle ich …
- Wenn ich das lese, erkenne ich …
- Wenn ich das lese, denke ich …
3. Feste Schreibzeit
Gehe bewusst mit deiner verfügbaren Zeit um – und nimm dir Zeit für das, was dir wichtig ist. Wenn Schreiben ein fester Teil deiner Routine werden soll, musst du Zeit dafür einplanen. Falls du glaubst, du hättest nicht genug Zeit, lies das Buch 168 Hours: You have more time than you think* von Laura Vanderkam.
Wichtig dabei ist, dass die feste Schreibzeit nicht täglich sein muss. Wenn du nur einmal pro Woche Zeit hast, ist das auch okay.
Zeit planen
Bei der Zeitplanung kann dir das Arbeitsblatt zum Buch 168 Hours helfen. Dokumentiere zuerst ein bis zwei Wochen lang, womit du deine Zeit tatsächlich verbringst. Dann überprüfe, wo du realistisch Zeit fürs Schreiben einplanen kannst bzw. welche Aktivität Zeit einnimmt, obwohl sie dir gar nicht so wichtig ist. In meinem Fall war das der Medienkonsum (u.a. YouTube und Netflix).
Du bist sehr diszipliniert? Dann plane täglich, mehrmals wöchentlich oder einmal pro Woche eine feste Schreibzeit ein und dich daran halten – egal was kommt.
Easier said than done? Da bin ich ganz deiner Meinung! Vielleicht hilft dir das Habit Stacking (englisch für Stapeln von Gewohnheiten).
Habit Stacking
Habit Stacking ist eine Methode aus dem Buch Atomic Habits* von James Clear (auf deutsch: Die 1% Methode*). Mit dem Habit Stacking bringst du neue Gewohnheiten in dein Leben, indem du sie mit einer bestehenden Gewohnheit fest verknüpfst. Suche dir dazu zuerst eine Gewohnheit, die bereits in deinem Leben verankert ist (z.B. Zähneputzen, Morgenkaffee, Aufstehen). Übe die neue Gewohnheit immer direkt vor oder direkt nach der Anker-Gewohnheit aus. Beispiele:
- Direkt nach dem Aufstehen gehe ich zum Schreibtisch und schreibe meine drei Morgenseiten.
- Direkt bevor ich den Fernseher einschalte, arbeite ich 30 Minuten an meinem Buchprojekt.
Die Abfolge von Gewohnheiten kannst du komplexer gestalten, sobald die verknüpften Gewohnheiten sicher funktionieren. So stapelst du immer mehr gute Gewohnheiten aufeinander zu einer Schreibroutine, mit der du zufrieden bist.
Meine Schreibroutine sieht beispielsweise so aus:
- aufstehen
- 15 Minuten meditieren
- Morgenseiten
- 30 Minuten bewegen
- Kaffee trinken
- eine Schreibaufgabe erledigen
4. Schreibziel vs. Schreibplan
Ein Ziel zu haben ist eine Voraussetzung, um es zu erreichen. Die zweite wird aber oft vergessen: Du brauchst auch einen konkreten Plan, um dein Ziel zu erreichen.
Without goals, and plans to reach them,
you are like a ship that has set sail
with no destination. — Fitzhugh Dodson
Wie oben bereits erwähnt, predigen gerade amerikanische Schriftstellerinnen oft, sich ein tägliches Schreibziel zu setzen. Damit meinen sie 500, 1.000 oder gar 2.000 Wörter pro Tag zu schreiben. Was auf den ersten Blick sinnvoll klingt, ist auf den zweiten ein bisschen unsinnig. Tägliche Wortziele sind nur für eine einzige Phase im Schreibprozess sinnvoll: beim Schreiben des ersten Entwurfs. Alle anderen Phasen des Schreibprozesses (z.B. Ideenfindung, Plotten oder Überarbeitung) lassen sich mit dieser Kennzahl überhaupt nicht abbilden.
Für deinen Seelenfrieden hilft es, folgende Wahrheit zu verinnerlichen:
Besser ist es, wenn du dir zu Beginn Arbeitszeiten als Ziel vornimmst. In der verfügbaren Arbeitszeit, erledigst du die geplanten Schreibaufgaben. Je strukturierter du dabei vorgehst, umso effizienter schreitet dein Buchprojekt voran. Bedenke dabei aber, dass der Schreibprozess oft zirkulär verläuft – wie Hayes/Flower in der folgenden Grafik verdeutlichen:
Das heißt: Auch wenn du dir eine Abfolge von Schritten vornimmst, kann es immer sein, dass du dich nicht stringent nach vorne bewegst. Während du den Plot entwickelst, fallen dir vielleicht Ideen für Szenen ein, die du dir aufschreiben willst.
Genauso gut kannst du aber auch feststellen, dass du mehr Zeit für die Ideenfindung brauchst, weil die vorhandene Idee keinen Plot trägt.
Schreibaufgaben planen
Ich empfehle dir, einen möglichst kleinteiligen Plan für dein gesamtes Buchprojekt zu machen. Dazu gehören unter anderem:
- Ideenfindung
- Entwickeln des Plots
- Outline & Beats schreiben
- Sammeln von möglichen Szenen-Ideen
- Rohfassung schreiben (Beat für Beat)
- Erstfassung schreiben
- Ruhen lassen des Projekts
- Überdenken und überarbeiten
- Überarbeiten
- Überarbeiten
- Feedback einholen
- Überarbeiten
- Lektorat
- Überarbeiten
- Veröffentlichung
Zu diesem Plan kann übrigens auch gehören, dass du erst einmal lernst, wie du bestimmte Aufgaben am besten angehst. Wenn du zum Beispiel Probleme bei der Plotentwicklung hast, dann könnte deine Aufgabenplanung so aussehen:
- Methoden zur Plotentwicklung recherchieren (Bücher, Artikel, Podcasts, Videotutorials)
- drei Methoden zur Plotentwicklung eingehend theoretisch studieren (Bücher lesen, Podcasts hören etc. und dazu Notizen machen)
- drei Methoden zur Plotentwicklung praktisch auf das eigene Projekt anwenden
Projektplanung konkret
Am Beispiel meiner Erzählung The Marvelous Misfits of Westminster* zeige ich konkret, wie ein solcher Plan aussieht und demonstriere die einzelnen Schritte:
The Marvelous Misfits of Westminster* sind übrigens auch ein gutes Beispiel dafür, wie viel Zeit für das Lernen des Handwerks eingeflossen sind. Die Erzählung ist das Ergebnis der Coursera-Spezialisierung Kreatives Schreiben. Ich habe etwa elf Monate das Handwerk geübt, Szenen geschrieben und mich mit Aspekten des Schreibens beschäftigt, ehe ich überhaupt dieses Projekt abschließen konnte. Die Lehrzeit hat sich gelohnt, denn die Erzählung ist qualitativ deutlich besser als die Geschichten, die ich davor geschrieben habe.
Projektarbeit tracken
Ein Buch zu schreiben kann Jahre dauern. Da vergisst man leicht, was man zu Anfang gemacht hat – und auch, wie viele Fortschritte man auf dem Weg bereits gemacht hat. Halte darum deine tägliche oder wöchentliche Arbeit an deinem Buchprojekt fest.
Schreibe dir im Detail auf, woran du gearbeitet hast. Wenn du am ersten Entwurf schreibst, notiere dir, wie viele Wörter du geschrieben hast – das motiviert. Vielleicht führst du sogar ein Schreibtagebuch oder ein Arbeitsjournal. Schreibe in diesem Fall auch auf, was gut geklappt hat, wie du dich gefühlt hast, welche Probleme es gab und wie du damit zukünftig umgehen möchtest sowie Ideen, die du in die Überarbeitung des Projekts einfließen lassen möchtest.
Auf diese Weise bleibt deine Arbeit nicht unsichtbar. Selbst wenn dein Buchprojekt sich noch nicht in Wörtern abbilden lässt, hast du ein Dokument, das dir zeigt: Es geht voran! Das kann dich besonders dann unterstützen, wenn du das Gefühl hast, es läuft schlecht.
Außerdem hilft dir das Schreibtagebuch oder Arbeitsjournal beim zweiten Projekt. Du weißt dann genau, welche Phasen du durchlaufen hast, wie sich das Schreiben in einer bestimmten Phase angefühlt hat und welche Strategien dir beim letzten Mal in einer schwierige Schreibphase weitergeholfen haben. Das Schreibtagebuch bzw. Arbeitsjournal ist für deine professionelle Entwicklung als Schriftstellerin also ebenso wichtig, wie das fertige Buch selbst.
5. Schreibort
Die Verbindung des Schreibens mit einem festen Ort kann dir dabei helfen, ins Schreiben zu kommen – vor allem, wenn du immer zur gleichen Zeit am selben Ort schreibst.
Manchen Schriftstellerinnen ist der Schreibort nicht so wichtig. J.K. Rowling behauptet sogar:
I can write anywhere.– J.K. Rowling
Ich halte es eher wie Virgina Woolf und brauche ein Zimmer für mich.
A woman must have money and a room of her own if she is to write fiction.― Virginia Woolf, A Room of One’s Own*
Ein Schreibort zeichnet sich vor allem dadurch aus: Es ist ein Ort, an dem dir das Schreiben gelingt – weil du dich dort wohl fühlst, weil er dich inspiriert, weil du dort ungestört bist. Probiere unterschiedliche Orte aus, um deinen idealen Schreibort zu finden. Mögliche Schreiborte sind:
- dein Bett
- dein Balkon
- ein eigenes Schreibzimmer
- ein eigener Schreibtisch
- eine Parkbank
- ein Café
- die Bibliothek
- das Museum
Und sollte sich der perfekte Ort zum Schreiben nicht finden lassen, bleib locker: Den perfekten Ort gibt es nicht wirklich. Du kannst tatsächlich überall schreiben. Denn im Grunde ist der Ort zum Schreiben ebenso unwichtig, wie deine Stimmung.
Weiterlesen
Im Blogartikel »Daily Habits & Writing Routines of 21 Famous Authors« (englischsprachig) findest du unter anderem die Schreibroutinen von Ernest Hemingway, Steven King und Virginia Woolf. Eine tolle Buchempfehlung zu diesem Thema ist auch Daily Rituals: How Artists Work* und Daily Rituals: Women at Work* von Mason Currey (auf deutsch erhältlich unter Musenküsse* und Mehr Musenküsse*). Falls du lieber Videos schaust, kann ich dir die Schreibexperimente von Christy Anne Jones empfehlen.
- Falls dich die Phasen des Kreativen Prozesses interessieren, erfährst du im Artikel „Die vier Phasen des kreativen Prozesses verstehen“ mehr. ↩
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