Eine Geschichte schreiben (1/2)

Eine Geschichte schreiben (1/2)

Andrea Hahnfeld

Du willst eine Geschichte schreiben, weißt aber nicht wie? Dann ist dieser Artikel genau der richtige für dich. Ich zeige dir, wie du in vier Schritten von der Idee zur fertigen Geschichte kommst.

Im ersten Teil erfährst du, was in den beiden Meilensteinen Materialberg und Erster Entwurf zu tun ist. Zu allen Schreibphasen gebe ich dir Einblick in den Schreibprozess meiner eigenen Erzählung The Marvelous Misfits of Westminster,* die ich als Abschlussprojekt der Coursera-Spezialisierung »Kreatives Schreiben« verfasst habe.

Infografik zum ersten Teil des Artikels
Aufgabe
Schreibe eine kurze Geschichte und beachte beim Schreiben die Aspekte, die du in den Grundlagen-Modulen gelernt hast.
Dauer: ca. 7 Wochen
Umfang: 10-15 Seiten

In nur sieben Wochen eine ausgefeilte Geschichte schreiben? Ist das überhaupt zu schaffen? Ja! Denn selbst bei der längsten Geschichte, schreibst du immer nur ein Wort nach dem anderen.

Wie schreibe ich eine Geschichte? Mach es wie Stephen King: Ein Wort nach dem anderen!

Allerdings empfehle ich dir, die Schreibübungen der Grundlagen-Module zu machen, bevor du mit deiner Geschichte anfängst. Dort trainierst du alle handwerklichen Aspekte des kreativen Schreibens:

So vorbereitet ist das Schreiben einer gut geschriebenen längeren Geschichte kein Problem. Du wirst allerdings auch merken, dass du die sieben Wochen brauchen wirst. Gerade wenn du alle technischen Aspekte des kreativen Schreibens in deiner Geschichte berücksichtigen willst.

Ich jedenfalls war zu Beginn des Schreibprozesses etwas überfordert. Obwohl ich mich acht Monate lang auf das Abschlussprojekt gefreut hatte, erschien mir die Aufgabe zu Beginn des Projekts fast unmöglich. Allerdings nur einen Tag lang. Dann ist mir aufgefallen, dass ich mal wieder die Bäume vor lauter Wald nicht gesehen habe.

Wichtig: Konzentriere dich auf die kleinen Schritte

Mit anderen Worten: Setz dir Scheuklappen auf und richte deinen Blick nur auf die konkreten Teilschritte. Das hilft sehr dabei, sich nicht überfordert zu fühlen. Im Wesentlichen schreibst du deine Geschichte vier Phasen:

  • Materialberg (1 Woche)
  • Erster Entwurf (2 Wochen)
  • Feedback und Feinschliff (3 Wochen)
  • Fertige Geschichte (1 Woche)

Meilenstein 1: Der Materialberg

Aufgabe
Sammle so viel Material wie möglich.

Für deinen Materialberg häufst du einfach alles an, was dich inspiriert. Dabei ist es nicht so wichtig, um welches Material es sich handelt. Es dürfen Bilder, Videos, Zeitungsartikel, eigene Texte, Notizen, Skizzen sein. Ob du deinen Materialberg online oder offline anlegst, ist zweitrangig. Wichtig ist nur: Das gesammelte Material soll die Lust zu schreiben in dir wecken und dich auf Ideen bringen. Der Materialberg dient als Grundlage für die Entwicklung deiner Geschichte.

Eigener Text

Erfahre, welche Inspirationen ich für meine Geschichte The Mystical Beasts of Westminster (damaliger Arbeitstitel) gesammelt habe:

Meilenstein 2: Ersten Entwurf schreiben

Aufgabe
Schreibe einen ersten Entwurf deiner Geschichte.

Das Erstellen des ersten Entwurfs habe ich in fünf Unterschritte aufgebrochen. Dabei habe ich weitgehend die Vorschläge von Monica Leonelle in ihrem Ratgeber Write Better Faster* angewendet:

  • Outline
  • Mindmap
  • Beats
  • Rohfassung
  • Erster Entwurf

Outline

Für eine Outline schreibst du pro Kapitel in wenigen Sätzen auf, worum es geht. Notiere dir auch (z.B. in Stichpunkten), was du in diesem Kapitel thematisch ansprechen willst.

Eigener Text

Eine Erzählung hat natürlich keine Kapitel. Dennoch fand ich die Idee auf für das Schreiben einer Geschichte sinnvoll. Statt auf Kapitel wendest du die Outline für die einzelnen Szenen an. Ich habe mir überlegt, welche Szenen in der Geschichte vorkommen sollen. Dann habe ich für jede Szene ein paar Sätze geschrieben. So sieht meine Outline aus:

Das Schreiben der Outline ging sehr schnell. Ich hatte sie in einem Nachmittag fertig. Das lag vor allem an der Materialsammlung und der Tatsache, dass sich im Prozess des Sammelns bereits die Idee zur Geschichte geformt hat.

Mindmap

Helfen dir visuelle Mittel, um komplexe Zusammenhänge zu verstehen? Dann mache dir von deinem Plot zusätzlich eine Mindmap!

Eigener Text

Ich visualisiere gerne die Verbindungen zwischen Figuren. Mindmaps helfen mir dabei, keine wichtigen Zusammenhänge zu vergessen und den Überblick zu behalten. Diesen Schritt empfiehlt Monica Leonelle zwar nicht, aber ich fand ihn sinnvoll und habe mir darum eine Mindmap für meine Geschichte erstellt:

Beats

Als Nächstes erweiterst du deine Outline zu Beats. Was genau Beats sind, konnte ich bisher noch nicht herausfinden. Sie werden von unterschiedlichen Autorinnen unterschiedlich definiert. Monica Leonelle sagt dazu:

You can do beats however you want. Similar to an outline, beats are very personal. The way I do mine is I attempt to »tell« a mythical someone what my story is about. Later, I’ll convert »tell« to »show« (the preferred method of reading a story), but for now, I just want to get down what exactly the story is. (aus: Monica Leonelle – Write Better Faster*)

Diese Definition ist schwammig und verwirrend. Aber sie gibt dir auch viel Freiheit diesen Zwischenschritt nach deinen eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Am nützlichsten fand ich für mich den Tipp, die Geschichte zu erzählen. Konzentriere dich dabei auf das Was und nicht das Wie.

Ich habe mir beim Schreiben der Beats folgende Leitfragen gestellt:

  • Was passiert?
  • Wer tut was?
  • Warum tun meine Figuren etwas?
  • Welche Informationen brauchen meine Lesenden?
  • Was will ich in der Szene herausarbeiten?
  • Was sollen die Lesenden am Ende fühlen?

Eigener Text

Während des Schreibens der Beats spülte mich eine Inspirationswelle fort. Daher habe ich eigentlich nur einen Beat geschrieben und dann sofort an mehreren Fronten gleichzeitig gearbeitet: Figurenentwicklung, Handlungsort, Rohfassung.

Wie lange dieser Prozess gedauert hat, kann ich nicht mehr genau nachvollziehen. Jedoch nicht länger als eine Woche.

Rohfassung

Monica Leonelle bezeichnet diesen Schritt auch als Skizze bzw. Skelett. Es handelt sich dabei um eine Fassung des Texts, bei dem du die Beats in eine Geschichte verwandelst. Alles, was du in den Beats erzählt hast, musst du jetzt zeigen. Mit anderen Worten: Übersetze tell in show.

In der Rohfassung erlaubt: Fehler

Die Rohfassung darf übrigens durchaus noch größere Fehler haben. Wenn du eine Geschichte schreibst, muss sie nicht gleich perfekt sein. Die Rohfassung ist ein Zwischenschritt, der nur für deine eigenen Augen gedacht ist. Lücken in der Erzählung, falsche Wortwahl oder Grammatikfehler – das alles ist okay! Markiere dir einfach Wörter und Stellen, die du später verbessern möchtest. Verpasse deiner inneren Kritikerin beim Schreiben der Rohfassung einen Maulkorb. Erteile dir selbst die ausdrückliche Erlaubnis, eine schlechte erste Version deiner Geschichte zu schreiben.

Eigener Text

Im folgenden Beispiel aus The Mystical Beasts of Westminster siehst du, wie ich tell in show umgewandelt habe:

  • Beat: Wetter im Februar beschreiben (kalt, nass, Schnee, windig – kurz: Sauwetter)/ Setting the scene: New York, Madison Square Garden, Hunde überall
  • Rohfassung: Thirty minutes later, I went up the stairs of 34 Street/Penn Station and pushed my umbrella against the cold wind. The collar of my woolen coat was turned up, wrapped with a scarf multiple times. Nevertheless, icy snowflakes found their way onto my naked skin. I pulled my shoulders up and hastened my step. Despite the uncomfortable February weather, 8th Avenue was full of people. They all rushed in the same direction I was heading. Most of them were dragging carefully covered dog boxes.

In drei Nachmittagen stand die Rohfassung meiner Geschichte. Sie ist eine Zwischenstufe zum ersten Entwurf. Jede Form der Rohfassung ist okay, solange am Ende ein Skelett deiner Geschichte herauskommt, mit dem du weiterarbeiten kannst. In meinem Fall habe ich in der Rohfassung Deutsch und Englisch vermischt.

Erster Entwurf

Beim ersten Entwurf machst du aus deiner Rohfassung einen konsistenten Text. Also eine Version, die keine Lücken mehr enthält und einigermaßen fehlerfrei ist. Die Zeitplanung des Abschlussprojekts sah für diese Schreibphase maximal zwei Wochen vor.

Für den ersten Entwurf verwandelst du das Skelett deiner Rohfassung in einen Körper. Mit allem was dazu gehört. Im Englischen sagt man dazu »flesh out a story«.

Leonelle vergleicht das Schreiben mit dem Malen. Mir hat dieser Vergleich geholfen: In der Rohfassung zeichnest du eine Skizze mit Bleistift und in groben Strichen. Im ersten Entwurf entsteht aus der Skizze ein richtiges Bild. Jetzt erst setzt du Farben ein und malst die Details.

Ersten Entwurf gut korrigieren – Fehler lenken vom Inhalt ab

Am Ende hast du einen Text, den du Leserinnen geben kannst. Der Text sollte möglichst fehlerfrei und lückenlos sein. Das ist wichtig! Denn für die nächsten Schritte brauchst du Feedback. Formale Fehler lenken deine Lesenden zu stark vom Inhalt ab. Dein Text sollte darum nicht mit Fehlern übersät sein.

Allerdings brauchst du beim ersten Entwurf nicht zu perfektionistisch sein. Es fällt leichter, einen Text zu verändern, an dem du nicht schon monatelang gefeilt hast. Nach dem Feedback sind nämlich noch viele Änderungen nötig. Falls keine Änderungen nötig sind, liegt das wahrscheinlich nicht am Text, sondern an zu unkritischen Feedback-Partnerinnen.

Schreibratgeber empfehlen, den ersten Entwurf so schnell wie möglich zu schreiben und vor allem nicht zu viel Herzblut hineinzustecken.

Quote by Ernes Hemingway: The first draft of anything is shit.
💡
Wortziele beim Schreiben, die viele Schreibende einsetzen, um ihren Fortschritt zu messen, beziehen sich übrigens ausschließlich auf diese Phase des Schreibprozesses. Das ist auch logisch. Denn nur wenn du nicht zu viel Wert auf jedes einzelne Wort legst, kannst du schnell schreiben.

Eigener Text

Weil meine Geschichte auf Deutsch und Englisch war, dauerte es länger als erwartet, einen konsistenten ersten Entwurf zu schreiben. Ich habe bestimmt ein bis zwei Wochen gebraucht, um aus der Rohfassung die Erstfassung der Geschichte zu machen. Auf das Ergebnis bin ich sehr stolz und es kam bei den Lesenden auch gut an:

Zum ersten Entwurf gibt es zahlreiche Bonmots. Neben Hemingways fand ich für meinen Schreibprozess das folgende Zitat von Shannon Hale besonders zutreffend:

Quote by Shannon Hale: I'm writing a first draft and reminding myself that I'm simply shoveling sand into a box so that later I can build castles.

Mehr ist mehr! – Feedback einholen

Sammle zum ersten Entwurf so viel konstruktives Feedback wie möglich. Je mehr, desto besser! Frage die Lesenden mindestens zwei Dinge:

  • Was hat dir gut gefallen hat?
  • Was hast du verstanden?

Die erste Frage ist wichtig, damit du nicht versehentlich bei der Überarbeitung Dinge streichst, die deinen Lesenden gut gefallen haben. Die zweite Frage bezieht sich auf Kernprobleme deiner Geschichte, die du in der Überarbeitung anpacken solltest. Schließlich ist eine Geschichte weder ein Rätsel noch abstrakte Kunst. Am Ende sollten deine Leserinnen das Gefühl haben, deine Geschichte verstanden zu haben.

Hast du Feedback-Partnerinnen, die passionierte Leserinnen sind oder selbst gerne schreiben? Dann kannst du auch spezifischere Fragen stellen:

  • Welche Vorstellung von der Hauptfigur hattest du nach dem Lesen?
  • Gab es Stellen, die du überflogen hast und wenn ja, warum?
  • Gab es Figuren, deren Handeln du nicht verstanden hast? Wenn ja, welche? Was hat dir gefehlt?
  • Welche Vorschläge hast du, um die Geschichte noch spannender, überzeugender, mitreißender zu machen?

Tipp fürs Feedback: Stelle konkrete Fragen!

Wie die Fragen deutlich machen, geht es beim konstruktiven Feedback vor allem darum, konkrete Fragen zu stellen. Vermeide geschlossene Fragen, die einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Hat dir die Geschichte gefallen? ist keine gute Frage. Ein Nein ist deprimierend. Ein Ja hilft dir auch nicht weiter, denn du weißt nicht, was genau deinen Lesenden gut gefallen hat.

Bestimmt hast du nach den Schreibübungen der Grundlagen-Module bereits gemerkt, was dir schwer fällt. Bei mir sind das Beschreibungen. Deshalb habe ich zu The Mystical Beasts of Westminster folgende Fragen gestellt:

  • Hattest du zu den Hauptfiguren klare Bilder im Kopf? Wo könnte ich die Beschreibung noch verbessern? Was hat dir gefehlt? Was fandest du gut?
  • An welchen Stellen könnte ich die Geschichte kürzen?
  • Hast du die Geschichte gern gelesen oder gab es Stellen, die dich gelangweilt haben? Wenn ja, welche und warum? Was hättest du dir stattdessen gewünscht?

Wichtig: Nimm das Feedback nicht persönlich!

  • Nimm das Feedback an, ohne deine Geschichte zu verteidigen.
  • Nimm es an, ohne dich persönlich gekränkt zu fühlen.
  • Und ignoriere Feedback, mit dem du nichts anfangen kannst.

Jeder erhält gelegentlich sinnloses Feedback. Mein schönstes sinnloses Feedback war, dass jemand kommentarlos eine Seite meines Texts gestrichen hat. Auf Nachfrage weshalb, sagte die Person: »Das hat mich nicht interessiert.«

Auch wenn solches Feedback nervt, brauchst du deswegen nicht sauer werden. Konstruktives Feedback zu geben ist eine Kunst und nicht jede Person beherrscht diese Kunst gleich gut.

Zum Vergleich möchte ich dir zwei Feedback-Beispiele aus meinem Schreibprozess geben:

Ein solches Feedback zeigt Probleme auf und gibt Tipps, wie du deinen Entwurf besser machen könntest.
Weniger hilfreich ist Feedback, wenn jemand versucht, deine Geschichte umzuschreiben. Vertrau deinem Bauchgefühl und ignoriere solche Kommentare einfach.
Weniger hilfreich ist Feedback, wenn jemand versucht, deine Geschichte umzuschreiben. Vertrau deinem Bauchgefühl und ignoriere solche Kommentare einfach.

Weiterlesen

In Eine Geschichte schreiben (2/2) beschreibe ich die nächsten beiden Schritte: Erfahre, wie du durch Feinschliff und Überarbeitung deine Geschichte verbesserst und deine Endfassung fertigstellst.

🎓
Die Inhalte dieses Blogartikels basieren auf den Materialien des Moduls »Capstone« des Dozenten Salvatore Scribona. Das Modul ist Teil der Coursera-Spezialisierung »Kreatives Schreiben«.

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